Thomas Minders parlamentarische Iniatiative abgelehnt: Weiterhin weit mehr Lobbyisten als Nationalräte im Parlament

Mit seiner parlamentarischen Initiative verlangt Ständerat Minder (V, SH), daß Lobbyisten keine dauerhaften Zutrittskarten zu den nichtöffentlichen Teilen des Parlamentsgebäudes mehr ausgestellt werden sollen.

Ratsmitglieder sollen ihre beiden Karten nur noch persönlichen Mitarbeitenden oder Personen aus dem erweiterten Familienkreis abgeben dürfen.  Die Kommission spricht sich mit 3 zu 2 Stimmen und 5 Enthaltungen gegen die Initiative aus. Sie will es weiterhin in der Verantwortung des einzelnen Ratsmitglieds belassen, wem es seine Zutrittskarten abgeben will.

Thomas Minder (Foto: Minder.ch)
Thomas Minder (Foto: Minder.ch)

Eingereichter Text

Gestützt auf Artikel 160 Absatz 1 der Bundesverfassung und Artikel 107 des Parlamentsgesetzes reiche ich folgende parlamentarische Initiative ein:

Das Parlamentsgesetz und die Geschäftsreglemente der eidgenössischen Räte sind dahingehend zu ändern, daß:

1. Lobbyisten keine dauerhaften Zutrittskarten mehr auszustellen sind;

2. jedes Ratsmitglied je einem persönlichen Mitarbeiter bzw. einer persönlichen Mitarbeiterin sowie je einem Gast, der aus dem erweiterten Kreis seiner Familie stammt, eine Zutrittskarte zu den nichtöffentlichen Teilen des Parlamentsgebäudes ausstellen lassen kann;

3. die Parlamentsdienste die Angaben über die Inhaber der Zutrittskarten überprüfen;

4. die Parlamentsdienste bei Verstoß gegen diese Regeln Maßnahmen treffen.

Begründung

Die aktuelle Regelung zur Vergabe der zwei Zutrittskarten je Parlamentsmitglied ist nicht befriedigend, darüber sind sich die meisten Mitglieder der beiden Räte einig.

Fast ungehindert können sich Lobbyisten in der Wandelhalle bewegen und sich sogar im Vorzimmer des Ständerates an den EDV-Arbeitsplätzen installieren. Lobbyisten gehen ohne Kontrolle ein und aus. Zeitweise sitzen sie sogar im Ratssaal des Ständerates hinten auf der Bank, um das Stimmverhalten zu observieren. Das ganze Lobbying rund um das Parlament ist übertrieben und muß eingeschränkt werden.

Daher sei hier folgender Systemwechsel vorgeschlagen: Lobbyisten sind grundsätzlich keine dauerhaften Zutrittskarten mehr auszustellen. Stattdessen können sie sich – wie dies bereits heute möglich und Usanz ist – als Gast für einen oder mehrere Tage von einem Parlamentsmitglied durch die Räumlichkeiten begleiten lassen.

Für persönliche Mitarbeiter sowie Gäste aus dem erweiterten Kreis der Familie soll je eine Zutrittskarte ausgestellt werden können. Die Aufteilung in die drei Kategorien „Interessenvertreter“, also die eigentlichen Lobbyisten, sowie „Persönlicher Mitarbeiter“ und „Gast“ wird bereits heute im Zusammenhang mit der Regelung gemäß Artikel 69 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes durch die Parlamentsdienste vorgenommen und entsprechend publiziert. Es wird also am bestehenden System angeknüpft.

Bei dieser Kategorisierung ist es jedoch bereits zu Falschdeklarationen gekommen: So hat ein Mitglied des Nationalrates die zwei von ihm ausgewählten Personen als persönliche Mitarbeiter bezeichnet, obschon diese offensichtlich in ihren Funktionen als Landrat, Geschäftsleitungsmitglieder einer Wirtschaftskammer, des kantonalen Hauseigentümerverbandes und anderer Verbände auserwählt wurden, agieren und lobbyieren – kaum jedoch als persönliche Mitarbeiter.

Ein anderes Mitglied des Nationalrates gab ebenfalls seinen Interessenvertreter als „persönlichen Mitarbeiter“ an, obschon dieser als geschäftsführender Gewerkschaftssekretär firmiert. Womöglich stimmt letztere Deklaration sogar – doch der Gewerkschaftslobbyist trägt augenscheinlich mehrere Hüte.

Aus diesem Grund sollen die Inhaber von Zutrittskarten durch die Parlamentsdienste auf ihre tatsächlichen Funktionen geprüft werden. Bei Verstoß gegen jene Regeln sollen die Parlamentsdienste Maßnahmen gegen das fehlbare Ratsmitglied ergreifen – beispielsweise der Entzug der Zutrittskarten im Wiederholungsfall. Bewiesenermaßen braucht es leider gewisse Sanktionen bei Verstößen.

Die knapp 500 Lobbyisten-Anhäger („badges“), welche die National- und Ständeräte zu vergeben haben, sind darüber hinaus längst nicht alle Zutrittskarten ins Bundeshaus. Faktisch verkehren darin noch weit mehr Interessenvertreter:

– So sind erstens jene etwa 300 Zutritte hinzuzuaddieren, welche durch die ehemaligen Parlamentarier von Amtes wegen ausgeübt werden (können). So genießt beispielsweise Herr Gerold Bührer, nicht bloß ehemaliger Nationalrat und Parteipräsident, sondern heutiger Präsident des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse, freien Zugang ins Bundeshaus.

– Weiter hat die Verwaltungsdelegation im November 2011 beschlossen, fortan allen Kantonen einen zusätzlichen Zutrittsausweis zu gewähren, obschon eigentlich die Ständeräte selbst bereits als „Kantonslobbyisten“ fungieren.

– Für die Medienschaffenden sind etwa 640 Zutrittsausweise abgegeben worden. Darunter befinden sich freilich nicht nur Journalisten der „NZZ“ und von „Le Temps“, sondern auch viele Personen, welche für Medien, die spezifischen, partikulären Interessen dienen, akkreditiert wurden. So zeichnen selbst etliche Journalisten de facto als Lobbyisten.

Unzählige weitere Anhänger (Badges) werden Mitarbeitenden der Verwaltung zugeteilt.

So haben schließlich unter dem Strich bis zu sage und schreibe 1700 potenzielle Lobbyisten Zugang zu den nichtöffentlichen Bereichen des Bundeshauses.

Daß effektiv gar nicht so viele Lobbyisten die parlamentarischen Katakomben betreten müßten, zeigt alleine die Tatsache, daß viele Organisationen und Unternehmen ihre Interessenvertreter gleich im Doppel, zu dritt oder in noch größerer Anzahl aufmarschieren lassen: Auto-Schweiz, Dynamics Group, Farner Consulting, Gastrosuisse, Migros, Post, SVS/Birdlife, Swisscleantech, TCS, Unia, VCS (je zwei Lobbyisten); Arbeitgeberverband, Centre Patronal, Furrer.Hugi & Partner, Hauseigentümerverband, SRG SSR, Travail Suisse (je drei); Alliance Sud, Bauernverband, Economiesuisse, Gewerkschaftsbund, Pro Natura (je fünf); Gewerbeverband, WWF (je sechs).

Die Parlamentarier können die erforderlichen Informationen überall und jederzeit bei den Interessenvertretern und im Internet einholen. Dies muß wahrlich nicht zwingend immer in der Wandelhalle und in den Vorzimmern der Räte geschehen. Das ganze Jahr hindurch abseits der dreiwöchigen Sessionen wie auch bei den Morgen-, Mittag- und Abendessen dürfte mehr als genügend Zeit bleiben, diese Kontakte zu pflegen.

Ein weiterer Vorteil eines reduzierten Lobbyistenbetriebes würde eine erhöhte Präsenz der Parlamentarier im Ratssaal sein. An dieser Stelle sei zudem angemerkt, daß kürzlich auch der Deutsche Bundestag den Lobbyismus stark eingeschränkt hat, übrigens auch aus sicherheitstechnischen Überlegungen.

Der zu starke Lobbyismus im Bundeshaus ist seit vielen Jahren ein staatspolitisches, mediales und gesellschaftliches Dauerthema. Mit den neuen zusätzlichen Vertretern der Kantone, welche die Verwaltungsdelegation kürzlich schuf, ist das Maß spätestens überschritten, das einem Parlamentsbetrieb förderlich wäre. Daher ist die Zutrittsregelung wieder grundsätzlich einzuschränken.

admin

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